Sonntag, 4. Juni 2017

Ich weiß nicht, ob ich Journalistin genannt werden will

Vor ein paar Wochen regte Brian May (der Gitarrist von Queen, was ich hoffentlich eigentlich nicht dazu sagen muss) sich fürchterlich auf. Man muss dazu sagen, dass Brian May sich relativ gerne aufregt - aber eigentlich immer zurecht, weil er sehr politisch engagiert ist und sich für Tierschutz einsetzt. Er ist also sicher kein grumpy old man, sondern einfach ein Mensch, der eine Meinung hat. Und diese auch kundtut - warum auch nicht, er hat ja keine allzu kleine Reichweite. Das, worüber er sich kürzlich aufregte, war eine Sache, die ich absolut nachvollziehen konnte und die mich leider schon sehr lange beschäftigt, wenn auch auf etwas andere Weise, als ihn.

Brian May hat ein Buch herausgebracht. Queen in 3D nennt es sich und er ist sehr stolz darauf, das merkt man immer wieder, wenn man seine diversen Social Media Kanäle verfolgt. Wie es Buchveröffentlichungen so an sich haben, nimmt ein Autor gerne möglichst viel Press Coverage mit, er will ja sein Werk bewerben. So auch Brian May. Und als jemand, der nicht erst seit gestern im Show Business ist, sollte man auch meinen, dass er weiß, mit wem er sich einlässt. Dachte er wohl auch, bis dann ein Artikel in der Sunday Times erschien, der eben dazu führte, dass ihm die Hutschnur platzte. Aber so richtig. Worüber genau er sich aufregt, kann man hier nachlesen - es lohnt sich auf jeden Fall, außerdem werde ich mich gleich auf einige seiner Punkte beziehen. Eine Frage, die er sich stellt: "Wie schlafen diese Leute eigentlich nachts?" Mit Diese Leute meint er die Autorin des Textes, die Herausgeber und alle Beteiligten, die ein Interview mit ihm genommen haben und statt seine Wünsche zu respektieren und einen interessanten Artikel zu schreiben, sind sie lieber (wie leider so oft) auf die reißerische Schiene abgedriftet. Und ich muss Brian May zustimmen. Ich an deren Stelle könnte nicht mehr schlafen. Aber ich würde auch nichts derartiges fabrizieren, nur weil ich der Meinung bin, dass ich mehr Leser gewinnen kann, wenn ich Skandale erschaffe, wo gar keine sind. Vielleicht verkaufen sie ein paar Exemplare mehr, aber ich weiß nicht, ob Geld immer alles aufwiegen kann. Einen Menschen, der einem ein gewisses Maß an Vertrauen entgegengebracht hat, so öffentlich zu enttäuschen - das muss man erst einmal mit sich selbst vereinbaren können. Zudem stelle ich jetzt einfach mal die Behauptung auf, dass Brian dieser Publikation niemals mehr auch nur einen Satz zur Veröffentlichung geben wird. 

Ich habe Journalismus studiert. Darauf bin ich einerseits der stolz, weil das Schreiben meine Leidenschaft ist, weil es mir Spaß macht und weil ich eigentlich immer fand, dass ich mich damit identifizieren kann zu sagen "Ich bin Journalistin". Ich fand immer, das klang nach einem guten Beruf, nach einer Bezeichnung, die viel aussagt und die vielfältig ist. Inzwischen hat sich das leider geändert. Davon abgesehen, dass ich aktuell nicht als Journalistin arbeite (bzw. nur unregelmäßig nebenbei), suche ich seit einiger Zeit einen alternativen Jobtitel, mit dem ich mich eher identifizieren kann und will. Das erste Mal kam mir der Gedanke, dass das nötig sein könnte, als ich gerade frisch aus dem Studium kam und noch mit stolz geschwellter Brust sagte "Ich bin Journalistin". Ich war mit einer Freundin auf einem Steven Wilson Konzert. Da sie ihn ziemlich gut kennt, waren wir danach Backstage und ich kam mit ihm ins Gespräch. Als ich irgendwann sagte, ich sei Journalistin, sah er mich in etwa so an, wie ich Nacktschnecken ansehe - dazu muss man wissen, dass ich wenig auf der Welt so schlimm finde, wie diese Viecher. Was er dann sagte, blieb mir seither im Gedächtnis und dabei ist es wirklich schon eine Weile her: "What a noble profession." Und ja, natürlich meinte er das ironisch. Und ich war plötzlich so klein mit Hut. Natürlich hatte ich ihm persönlich nichts getan, aber die Aussage war klar: Er hatte mit Journalisten schlechte Erfahrungen gemacht und somit aus vermutlich gutem Grund alle über einen Kamm geschert.

Sich aktuell mit Journalismus zu beschäftigen, kann sehr sehr deprimierend sein. In Zeiten von Fakenews und Clickbaiting hat diese Branche so viel an Reiz verloren, dass es einen wirklich traurig macht - vor allem, wenn man jemand ist, der gerne ernsthaft auf diesem Gebiet arbeiten wollen würde und vor allem der Meinung ist, dass guter Journalismus viel bewirken kann. Aber es ist schwierig. Wäre ich die Autorin des Textes, über den Brian May sich so aufregt, wäre ich... mir fällt als Erstes mortified ein. Ich würde mich schämen und ich hätte ein schlechtes Gewissen. Was ich allerdings fürchte: Ihr geht es eher nicht so. Sonst hätte sie es ja nicht gemacht. Aber wie jemand, der einen Funken Anstand und Integrität besitzt, den Leuten dermaßen die Worte im Mund umdrehen kann, ist mir ein Rätsel und entspricht einfach nicht dem, wie ich den Beruf eines Journalisten bisher immer gesehen habe.

Ich arbeite eng mit einer Redaktion zusammen und habe mich letztens mit einer Kollegin unterhalten, die dort als Redakteurin arbeitet. Irgendwann meinte sie "Ich wollte halt immer Journalistin werden". Ich fand das trotzdem schön. Denn ich konnte sie verstehen, immerhin ist Schreiben auch immer schon meine Leidenschaft gewesen. Vor allem aber weiß ich von ihr, dass sie es mit der journalistischen Integrität eben genau nimmt. Sie schreibt bei uns über Technik, aber auch für diverse Publikationen über Musik und ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass sie nie ein Interview mit einer Band führen würde und die Antworten so hindrehen, dass sie Schlagzeilen produzieren. Weil es nicht darum geht, sondern darum, die spannende Wahrheit zu erzählen. Wenn man das nicht hinkriegt, dann hat man das Interview vermutlich auch einfach falsch geführt.

Es ist schon eine Weile her, dass ich regelmäßig Interviews geführt habe, aber ich hatte immer Spaß dabei. Ich mochte es, mir Fragen auszudenken. Spannende Leute, die mit Leidenschaft bei der Sache sind, sind tolle Gesprächspartner und im Idealfall hat man sich einfach eine Weile gut unterhalten und dabei einige interessante Dinge erfahren. Mir wäre im Traum nicht eingefallen, die Antworten von irgendjemandem so gravierend zu ändern, dass sie vielleicht spannender, aber dafür auch unwahrer werden würden. Auf die Idee kam ich nie - auch, wenn ein Gespräch einmal nicht so viel hergab, wie ursprünglich geplant war oder wie ich mir erhofft hatte. Das war dann eben Pech - aber immerhin begab ich mich nicht auf ein Niveau herab, dass mich mit der Boulevardpresse gleichgesetzt hätte. Mit Ausnahme eines einzigen Interviews musste ich übrigens keinen der Texte vorab zur Freigabe schicken - das hieß somit auch, dass meine Gesprächspartner darauf vertrauten, dass ich sie nicht über den Tisch ziehen und verunglimpfen würde. 

Wenn man die "Journalisten" der Fraktion Skandalreporter fragen würde - wahrscheinlich würden sie argumentieren, dass die Leser selbst schuld sind. Dass sie es so wollen. Dass niemand kauft oder klickt, wenn die Schlagzeilen nicht so richtig reinhaut oder irgendetwas "aufgedeckt" wird. Ob es nun stimmt oder nicht - egal. Ob jemand dabei verletzt wird oder nicht - wen interessiert das, wenn der Rubel rollt. Ich finde das (und jetzt Pardon my French) einfach ekelhaft. Und das ist nicht der Beruf, mit dem ich mich identifizieren will. Wäre ich jetzt in einem englischsprachigen Land, würde ich es machen wie Carrie Bradshaw und sagen "I'm a writer". Aber irgendwie ist das schwierig bei uns. Ist man Autor? Finde ich nicht. Man kann sagen "Ich schreibe" - aber das ist ja keine Berufsbezeichnung. Schreiben kann man auch einen Einkaufszettel. Es ist schwierig und zu einem Ergebnis bin ich auch noch nicht gekommen. Vielleicht sollte man auch drüber stehen, dass so manche "Kollegen" den Beruf des Journalisten mit ihren Werken verunglimpft haben und es einfach besser machen. Der richtige Ansatz wäre es irgendwie.
Bis es soweit ist, gilt bei mir halt der Begriff Wortakrobatin. Damit kann ich sein, was ich will und da sich jeder etwas anderes darunter vorstellt, kann der Titel gar nicht negativ besetzt sein. Und wenn, dann bin ich selber schuld, weil ich Quatsch gemacht habe. 

(Die Bilder oben sind übrigens aus der Peter Lindbergh Ausstellung in der Münchner Kunsthalle. Ich fand sie passend, weil Lindbergh zum Einen viel für Modemagazine fotografiert und weil diese vielen verschiedenen Bilder für mich den Facettenreichtum zeigen, den ich eben eigentlich auch im Journalismus sehe)

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