Montag, 5. Juni 2017

Leben wir nur noch für unseren Lebenslauf?



Es ist schon eine Weile her, dass ich mich intensiv mit meinem (gedruckten) Lebenslauf befasst habe. Vor knapp zwei Jahren befand ich mich in einer sehr langwierigen Bewerbungsphase und da ich mich in einem Feld bewarb, das sehr weit entfernt von meinem zu diesem Zeitpunkt aktuellen Beruf war, musste das Ding vor allem eins: Überzeugen. Davon dass ich geeignet war - klar. Aber auch davon, dass mein bisheriger Werdegang, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussah, die perfekte Voraussetzung für die Art von neuem Job war, den ich haben wollte. Was macht man also in so einem Fall? Alles reinpacken, was man jemals gemacht hat, war meine Devise. Und trotzdem war der Lebenslauf irgendwie ein wenig nichts sagend und leer. Irgendwie traurig, wenn man schon so lange in der Arbeitswelt unterwegs war und trotzdem gerade einmal eine A4-Seite füllen konnte.

Vor einiger Zeit kam ein Kollege von mir mit einem Satz daher, der mich seither nicht losgelassen hat. "Leben für den Lebenslauf", sagte er und stellte die Hypothese auf, dass wir das im Grunde alle aktuell machen. Wir machen Dinge, die spannend klingen und Personaler im Fall der Fälle davon überzeugen sollen, dass wir super sind und perfekt für einen fancy Job geeignet. Widersprechen kann ich ihm nach wie vor nicht wirklich, denn wenn man sich mal ein bisschen mit Leuten unterhält und deren Lebensläufe anschaut, dann kommt schnell die Frage auf: Hast du das gemacht, weil du wolltest und weil es dir Spaß gemacht hat oder weil du das Gefühl hattest, du müsstest es machen, weil es sich gut im Lebenslauf macht?

Ab und zu landen Lebensläufe auf meinem Tisch und auch wenn ich am Ende nicht entscheide, ob jemand eingestellt wird oder nicht, so schaue ich sie mir (neugierig wie ich bin), natürlich dennoch an und bilde mir eine Meinung. Ich finde Lebensläufe spannend, aber stelle immer wieder fest: Der gedruckte Lebenslauf ist in 90% der Fälle nicht wirklich aussagekräftig. Es kam schon öfter vor, dass ich mich zu einem späteren Zeitpunkt mit Leuten, deren Lebenslauf ich lange vor ihnen kannte, unterhalten habe und siehe da: Plötzlich wurde es spannend. Klar ist so ein Lebenslauf immer nur der Vorläufer für ein Gespräch, aber wenn man herausfindet, warum jemand diesen speziellen Schritt gegangen ist, ist das wesentlich interessanter. Und vor allem wird am Ende meistens die Frage geklärt: War das für dich selbst oder für deinen Lebenslauf?

Ich hoffe, diese beiden Dinge schließen sich nicht zwingend immer aus. Das wäre auch ziemlich traurig. Aber leider gibt es sicher einige Menschen, die etwas studieren, weil sie das Gefühl haben, sie müssten das tun und dann Jahre ihres Lebens damit verbringen ohne wirklich glücklich zu sein. Und ich finde es nach wie vor schwierig, beruflichen Erfolg über das zu stellen, was man wirklich will. Ich habe damals nicht eingesehen, warum ich unbedingt nach dem Abitur studieren muss. Klar habe ich es ausprobiert, aber zu diesem Zeitpunkt hat es mein Leben definitiv nicht bereichert, mich mit Englischer Literatur und Deutscher Sprachwissenschaft zu befassen und dabei eine unter gefühlt tausenden an der LMU München zu sein. Stattdessen begann ich eine Ausbildung - und denke nach wie vor, dass das eine sehr gute Entscheidung war. Ob sich das eine besser oder schlechter im Lebenslauf macht, war mir zu diesem Zeitpunkt egal. Immerhin war ich gerade erst knapp zwanzig und zufrieden mit meinem Leben zu sein fand ich schon damals wichtiger.

Leben für den Lebenslauf kann aber auch etwas anderes heißen und das finde ich fast noch problematischer. In meinem Umfeld gibt es ein paar Leute, die sehr unglücklich in ihrem Job sind. Unfähige Chefs, zickige Kollegen, Aufgaben, die sie unterfordern und keine Perspektiven - das Spektrum ist groß und meiner Meinung nach würde schon einer dieser Aspekte reichen, um Adios zu sagen. Klar jammert jeder mal ein wenig und rosig ist es bei weitem nicht immer. Aber wenn man seit Jahren irgendwo arbeitet, unglücklich ist und dabei keine Änderung absehbar ist - wieso bleibt man dann da? Das Argument "Ich mache jetzt xy Jahre voll, dann schaue ich mich nach etwas neuem um" habe ich jetzt schon einige Male gehört. Und ja, ich kann die Logik dahinter verstehen. Man denkt sich, es wirkt komisch, wenn man nach einem Jahr wieder geht. Aber erstens ist das heutzutage nun wirklich keine Seltenheit mehr und zweitens kommt es immer auf die Argumentation an. Auch ich habe schon nach einem Jahr gekündigt und am Ende waren meine Argumente sogar eher ein Pluspunkt für mich und ich denke nicht, dass sich jemand dachte, ich hätte kein Durchhaltevermögen. Was man sich auch denkt, um zu rechtfertigen, warum man nicht einfach geht? Dass man sich etwas beweisen muss. Vielleicht, dass man doch noch das Ruder herumreißen kann, dass sich noch etwas ändern wird und dass man es trotz aller Widrigkeiten im ungeliebten Job schafft. Aber ganz ehrlich: Will man das? Man verbringt so viel Lebenszeit in der Arbeit, wieso sollte man sich denn bitte quälen, wenn es gar nicht sein muss?

Ich finde Menschen spannend, die einfach leben und am Ende doch etwas für ihren Lebenslauf getan haben ohne es zu planen. So wie eine Freundin von mir, die auf Weltreise ging und diese danach als sehr schlüssige Argumentation in Bewerbungen eingebaut hat - immerhin haben in dieser Zeit einige Soft Skills Verwendung gefunden - und man weiß ja inzwischen, dass diese bei Personalern gut ankommen. Hat sie ihre große Reise gemacht, weil sie das im Hinterkopf hatte? Mit Sicherheit nicht. Sie wollte einfach reisen und etwas erleben. Der Lebenslauf war nebensächlich, es ging um persönliche Erfahrungen, es ging darum, das Leben zu genießen. Und am Ende war die Zeit dennoch auch auf beruflicher Ebene hilfreich. So einfach kann es gehen. Und so sollte es auch gehen.

Gibt es Vorzeige-Lebensläufe? Sind das die mit den Vorzeige-Studium, dem tollen Bachelor gefolgt von einem Master mit Auslandssemester und Pipapo? Ich weiß ja nicht. Ich gähne dann eher, weil ich mir denke: Kreativ warst du da ja nicht. Und auch: War das nicht langweilig? Hattest du Spaß? Oder warst du einfach der Meinung, das muss so sein? Ich mag ein wenig voreingenommen sein, aber ich bin Fan von Quereinsteigern. Menschen, die viele verschiedene Dinge in ihrem Leben gemacht haben und sich irgendwann dachten: Jetzt ist es Zeit, etwas neues auszuprobieren (Hallo, liebe Komfortzone!). Ich finde es spannend zu hören, warum jemand jahrelang Industriemechaniker war und dann mit knapp dreißig beschlossen hat, er möchte in die Eventbranche. Oder wenn ein Banker nach langen Jahren in der Sparkasse noch einmal studiert und Lehrer wird - das sind nur zwei Beispiele von Freunden von mir, die eben nicht an ihren Lebenslauf dachten oder daran, wie das wohl wirken würde. Sondern daran, dass man eben das tun sollte, was man will. Und ja, bei beiden hat es geklappt und dass sie nicht den klassischen Weg gegangen sind, war vollkommen egal. 

In letzter Zeit erwische ich mich gerne dabei, Dinge zu tun, weil ich denke, dass sie sich gut im Lebenslauf machen. Aber immerhin bin ich noch nicht so weit, Dinge zu tun, die mir keinen Spaß machen. Was ich mache, mache ich, weil ich es machen will und nicht weil ich das Gefühl habe, ich müsste. Klar ist mein gedruckter Lebenslauf nach wie vor nicht perfekt, aber manchmal erzähle ich meinen Werdegang Leuten und stelle dabei fest: Geschadet hat mir das alles gar nicht. Und Spaß hatte ich auch. Zu jedem Zeitpunkt hat die Entscheidung genau in mein Leben gepasst. Und wenn es nicht mehr gepasst hat, dann habe ich etwas geändert. Die Lebensqualität stand dabei im Vordergrund. Um den Lebenslauf konnte man sich hinterher immer noch kümmern. 

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