Es gibt wohl kaum ein Buch, dessen Ende so endgültig ist wie das von Ein ganzes halbes Jahr. Denn was sagt mehr "Es ist vorbei" als der Tod eines Charakters? Die Geschichte von Lou und Will endet mit Wills Tod. Seine Geschichte ist zu ende, ihre gemeinsame Geschichte auch. Aber Lous Geschichte noch lange nicht, denn sie ist ja gerade einmal Ende zwanzig!
Eine Fortsetzung für ein Buch zu schreiben, das so außergewöhnlich ist wie Ein ganzes halbes Jahr ist schwierig. Eine Fortsetzung für ein Buch, das eigentlich abgeschlossen schien, noch mehr. Vor allem, weil natürlich viele Leser und Kritiker ganz schnell fragen: "Braucht es das wirklich? Müssen wir das lesen?"
Kurze Antwort auf diese Fragen: Man muss natürlich nicht. Aber ich finde, Jojoy Moyes ist hier ein gutes Buch gelungen, das vor allem für die Leser interessant ist, die wissen wollen, wie es in Lous Leben weitergeht, aber auch was Wills Eltern nach dem Tod ihres Sohnes machen. Ein wichtiger Punkt ist die Trauerbewältigung und die unterschiedlichen Herangehensweisen der Charaktere.
Man erkennt Lou fast nicht wieder. Wenn man sich die schillernde Persönlichkeit in ihren bunten, ausgefallenen Outfits vor Augen führt, die man ein halbes Jahr lang begleitet hat, dann ist diese Lou eine vollkommen andere. In Jeans und T-Shirt, in sich gekehrt und nur darauf bedacht, zu funktionieren. Und obwohl sie weiß, dass Will etwas ganz anderes für sie gewollt hat, kann sie sich absolut nicht dazu aufraffen, ihre alten Klamotten anzuziehen, ihre neue Wohnung einzurichten oder überhaupt zu leben. Ihr Lieblingsplatz ist die Dachterrasse, aber dort betrunken auf der Balustrade herumzuklettern, ist keine sonderlich gute Idee. Das wird ihr bewusst, als sie im Krankenhaus aufwacht und ihre Familie denkt, sie hätte sich absichtlich heruntergestürzt. Wach gerüttelt wird sie auch dadurch nicht, das schafft erst ein Mädchen namens Lily, das plötzlich vor ihrer Tür steht. Denn, wie man sich denken kann, Lily ist nicht irgendwer!
Was Lily vor allem schafft: Lou aus ihrem Schneckenhaus zu holen. Sie gibt ihr eine Aufgabe, eine Art neuen Lebenssinn. Sie zeigt und sagt ihr immer wieder deutlich, dass sie ihr Leben nicht vergeuden soll. Denn im Gegensatz zu Will hat Lou noch viel vor sich, kann noch viel erleben. Das hatte er sich für sie gewünscht und nicht, dass die Trauer sie auffrisst. Sich vor allen Menschen, allen Freuden des Lebens zu verschließen, bringt sie nicht weiter. Aber sich alleine aus ihrer Misere zu ziehen hat sie verständlicherweise nicht geschafft. Dazu braucht es unerwartete Hilfe von außen und dann wird es nach und nach. Besonders schön zu sehen ist wie "alte Lou" Stück für Stück wieder zum Vorschein kommt. Die Lou in den exzentrischen Klamotten mit dem großen Mundwerk und den vielen Ideen!
Was mir bei der Lektüre sofort wieder auffiel war, warum ich schon Ein ganzes halbes Jahr so mochte. Das liegt vor allem an Lou. Ich finde, sie ist ein großartiger Charakter und auch in den Momenten, in denen sie zu nichts Kraft aufbringen kann, scheint das durch, in das Will Traynor sich verliebt hat. Eine ganz besondere Persönlichkeit, die mit einem Schicksalsschlag so umgeht, dass man nicht anders kann, also mitzufühlen und sich zu denken "Mir würde es genauso gehen". Man will sie gar nicht wachrütteln, man kann sie verstehen und wartet einfach darauf, dass es wieder aufwärts geht bei ihr. Denn eines ist von vornherein klar: Das wird es. Das verrät ja der Titel, zumindest im Deutschen, schon. Aber auch der Originaltitel spricht aus, worum es geht: Das leben "danach" passend zu Me Before You gibt es jetzt das After You. Das Leben vor und nach dem halben Jahr mit Will Traynor.
Lous Geschichte geht weiter und ich finde, hier wird sie wirklich zu einem guten Abschluss gebracht. Man weiß, was mit ihr passiert ist, weiß, was sie macht. Wahrscheinlich könnte Jojo Moyes genauso wenig loslassen wie die Leser und wollte selbst wissen, wie Louisa Clarks Leben jetzt aussieht. Die Frage wird beantwortet. Und: Man muss bei weitem nicht so viele Tränen vergessen wie bei Teil eins. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, das muss jeder selbst für sich entscheiden!
Nebeneffekt der Lektüre übrigens: Man will sofort noch einmal die Geschichte von Will und Lou lesen und sich dabei die Augen ausheulen. Und man freut sich extrem auf die Verfilmung, die nächstes Jahr im Juni in unseren Kinos anlaufen wird!
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