Donnerstag, 21. März 2013

[Rezension] Jojo Moyes - Ein ganzes halbes Jahr

Einer der erfolgreichsten und beliebtesten Filme des letzten Jahres war ja bekanntlich "Ziemlich beste Freunde". Und das nicht von ungefähr, denn die Geschichte rührt einfach und geht zu Herzen. Ein Mensch, der gefangen ist in einem Körper, den er nicht mehr bedienen kann, der Hilfe bei allem braucht. Und seine Pflegehilfe, die ihm trotz dieser Lage den Lebenswillen zurückgibt, den er scheinbar verloren hat.

Liest man sich den Klappentext von "Ein ganzes halbes Jahr" durch, fühlt man sich natürlich sofort an diese Geschichte erinnert. Es geht um Will und Lou. Seit zwei Jahren, nach einem schweren Unfall, kann sich Will vom Hals abwärts nichts mehr bewegen, nur die Finger einer Hand. Vor allem für ihn, der früher sportbegeistert und nur auf Achse war, ist das besonders schwierig.

Lou hingegen ist ganz zufrieden mit Stillstand. Mit ihrem kleinen, beschaulichen Leben im Örtchen. Bis sie ihren Job verliert. Auf der Suche nach etwas Neuem landet sie bei der Familie Traynor, um Will Gesellschaft zu leisten. Sie hält sich für die denkbar Falsche für diese Aufgabe, doch schnell stellt sich heraus, dass gerade sie es ist, die Will zum Lachen bringen kann und ihn zumindest ein wenig ablenkt. Das ist auch gut so, denn seine Eltern haben sie vor allem wegen einer Sache eingestellt: Sie soll verhindern, dass er in sechs Monaten in die Schweiz geht, um sich bei Dignitas unter Aufsicht das Leben zu nehmen. Sie soll ihm den Lebenswillen wiedergeben, den er verloren hat. Eine unlösbare Aufgabe, wie es Lou zuerst scheint. Doch je mehr die beiden einander näher kommen, desto wichtiger wird es ihr und vor allem will sie, dass Will am Leben bleibt.

Als ich im Sommer in London war und "Me Before You" in der Hand hielt, hätte ich es fast gekauft. Keine Ahnung, wieso ich es nicht gemacht habe, aber inzwischen bereue ich es ein wenig, weil ich so erst ein halbes Jahr später in den Lesegenuss gekommen bin. Gleich von der ersten Seite an habe ich mich in die Charaktere verliebt, war mitten im Geschehen und fühlte mich dazugehörig. Vor allem Lou habe ich sofort ins Herz geschlossen mit ihrem exzentrischen Kleidungsstil, ihrem losen Mundwerk und ihrer Verpeiltheit. Sie hat das Herz am rechten Fleck, ist absolut liebenswert - und stürzt sich in das größtmögliche Chaos. Das hat natürlich vor allem mit ihrem neuen Job zu tun, aber wahrscheinlich ist es einfach ihre Art, ein wenig kopflos zu sein. Aber genau deswegen mag ich sie so. Und deswegen mag Will sie auch, weil sie die erste ist, die ihm auch einmal widerspricht und ihn nicht wie ein rohes Ei behandelt.
Will selbst scheint zuerst einmal nur übellaunig zu sein. In dieser Situation kein Wunder. Doch schon bald merken Lou und der Leser, was alles in ihm steckt. Er ist schlau, wortgewandt, gebildet. Und auch er hat das Herz am rechten Fleck. Er will, dass Lou etwas aus ihrem Leben macht. Denn sie kann es. Die Kleinstadt hinter sich lassen, ihren Horizont erweitern. Er will mehr für sie, als sie jemals für möglich gehalten hätte. Und er wird keine Ruhe geben, bis sie ihren Kokon verlässt und ihre Flügel ausbreitet.

"Ein ganzes halbes Jahr" ist ein Buch für alle, die eine schöne Geschichte mögen. Liebenswerte Charaktere, Herzschmerz, Klöße im Hals und Lachtränen in den Augen. Das gesamte Gefühlsspektrum, ohne dabei kitschig oder sentimental zu werden. Und ohne herunterzuspielen, wie schlimm Wills Situation für ihn und auch für alle Beteiligten wirklich ist. Denn damit würde man dem Ganzen nicht gerecht werden und zu viel beschönigen, um eine realistische und zu Herzen gehende Geschichte erzählen zu können.
Jojo Moyes: Ein ganzes halbes Jahr - Rowohlt - €14.99

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