Dienstag, 27. Oktober 2015

Ist Andrea Sachs wirklich ein so gutes Vorbild?


Es gibt keinen Film, den ich so oft gesehen habe wie Der Teufel trägt Prada. Das ist eine feststehende Tatsache, zu der ich auch stehe. Das ist eine Tatsache, die ich nicht durch Zählen überprüfen werde, weil ich es einfach weiß. Und vor allem wird sich an dieser Tatsache nichts ändern, weil ich den Film mindestens einmal pro Monat schaue. Dieses Privileg hat sonst kein Film und ich schätze, so schnell wird es auch keiner bekommen.
Prada ist der Film, den ich anschaue, wenn ich nicht weiß, was ich sonst anschauen soll. Der Film, den ich anschaue, wenn ich Fashion-Inspiration brauche. Wenn ich eine Ladung Meryl Streep brauche, wenn ich den großartigen Stanley Tucci sehen will, wenn ich Karrieretipps brauche. Ein Film für alle Lebenslagen. Und ja, natürlich habe ich auch die Romanvorlage gelesen. Drei Mal. Aber das literarische Talent von Lauren Weisberger kommt leider nicht einmal ansatzweise an die schauspielerischen Leistungen der Darsteller heran. Dieser Film lebt von seinen Schauspielern und natürlich auch von der großartigen Patricia Field, die sich um alle Stylingfragen kümmerte. Es ist der Film, der zuerst genannt wird, wenn es um einen Job in der Modebranche geht. Und komischerweise ist Andrea Sachs immer ganz vorne mit dabei, wenn Vorbilder gesucht werden. Und das halte ich für ein Problem.

Mein Lieblingscharakter in Der Teufel trägt Prada? Nigel! Und das nicht nur, weil er von Stanley Tucci so meisterhaft dargestellt wird und so viel besser ist als sein Buch Alter Ego. Nigel ist großartig. Punkt. Nigel sollte ein Vorbild sein, ein Mentor. Für Andy ist er das. Für Miranda Priestly ist er einer der wertvollsten Mitarbeiter, denn er ist kreativ, weiß was seine Chefredakteurin will, bringt eigene Ideen mit ein und lässt sich vor allem nicht unterbuttern. Und: Er hat sich das alles erarbeitet. In der kurzen Szene, in der man etwas über ihn erfährt, erzählt er, dass er als kleiner Junge unter der Bettdecke Runway gelesen hat und heimlich Nähkurse belegt hat, um seinen Traum zu verwirklichen. Und man sieht ja, wo er gelandet ist. Was am Ende mit ihm passiert, als er von Miranda um seinen Traumjob bei James Holt gebracht wird, damit diese ihre eigene Position sichern kann – das hat er nicht verdient. Aber er trägt es mit Würde und vor allem verliert er nicht den Mut und die Zuversicht, dass Miranda weiß, was sie an ihm hat und vor allem auch, dass sie ihn fördern wird. Zudem ist Film-Nigel einfach ein netter Mensch. Er nimmt Andrea unter seien Fittiche, bringt ihr gleich am ersten Tag das passende Schuhwerk, kümmert sich um ihr Umstyling, damit Miranda sie nicht weiterhin wegen ihres Aussehens verurteilt, sondern Andy nach der Arbeit, die sie verrichtet, beurteilt. Und er hält seinem Schützling den besten Vortrag, den ich jemals gehört habe. Am liebsten möchte ich ihn mir einrahmen, weil er so motivierend ist und so viel Wahres beinhaltet.

Andy, be serious. You are not trying. You are whining. What is it that you want me to say to you, huh? Do you want me to say, "Poor you. Miranda's picking on you. Poor you. Poor Andy"? Hmm? Wake up, six. She's just doing her job. Don't you know that you are working at the place that published some of the greatest artists of the century? Halston, Lagerfeld, de la Renta. And what they did, what they created was greater than art because you live your life in it. Well, not you, obviously, but some people. You think this is just a magazine, hmm? This is not just a magazine. This is a shining beacon of hope for... oh, I don't know... let's say a young boy growing up in Rhode Island with six brothers pretending to go to soccer practice when he was really going to sewing class and reading Runway under the covers at night with a flashlight. You have no idea how many legends have walked these halls. And what's worse, you don't care. Because this place, where so many people would die to work you only deign to work. And you want to know why she doesn't kiss you on the forehead and give you a gold star on your homework at the end of the day. Wake up, sweetheart.

Mich wundert nicht, dass Nigel an dieser Stelle die Hutschnur platzt. Das wäre mir auch so gegangen. Und genau deshalb versehe ich nicht, wieso Andrea Sachs immer als Vorbild herhalten muss. Meiner Meinung nach ist sie das allein deshalb nicht, weil sie ständig jammert. Weil sie diesen Job (the one a million girls would kill vor) als eine Selbstverständlichkeit ansieht, als etwas, was unter ihrer Würde ist, weil sie im Grunde meint, etwas Besseres zu sein und einen besseren Job verdient zu haben. Liebe Andy: Jeder fängt einmal ganz unten an. Viele haben als Assistent begonnen. In dieser Position kann man eine Menge lernen, wenn man will und wenn man offen dafür ist. Nicht, wenn man jammert und sich schlecht behandelt fühlt. Und Miranda Priestly ist sicherlich nicht da gelandet, wo sie jetzt ist, weil sie den Tag mit jammern verbracht hat. Dazu hat sie nämlich gar keine Zeit!
Was mich an Andy am meisten aufregt ist der Satz „I didn't have a choice“. Den sagt sie im Laufe des Films mindestens fünf Mal und jedes Mal will ich schreien. Manchmal mache ich das auch, wenn ich besonders schlechte Laune habe. Diese Aussage ist einfach so unglaublich grauenvoll, dass ich allein beim Gedanken daran schon wieder in Rage gerate. Weil es vor allem nicht stimmt. Die einzige Genugtuung? Dass ihr mehrmals auf diesen blöden Satz die richtige Retourkutsche gegeben wird. Von Emily (That is a pathetic excuse!) Von ihrem Freund Nate (I wouldn't care if you were out there pole-dancing all night, as long as you did it with a little integrity!) Und auch von Miranda. Denn diese „Ausrede“ ist einfach hirnrissig. Keiner hat sie gezwungen, diesen Job zu übernehmen, Keiner hat sie gezwungen, ihn zu behalten. Keiner hat sie gezwungen, ihr Privatleben hinten anzustellen. Sie ist immer noch ein Mensch, der seine eigenen Entscheidungen treffen kann und auch sollte. Und sie hat sich entscheiden, jedes Mal. Für den Job, für Miranda. Weil ihr klar war, dass das dazu gehört. Und sie hätte die Wahl gehabt, viel früher alles hinzuwerfen. Nicht erst dann, als ihr klar wurde, dass sie inzwischen ähnliche „skrupellos“ gehandelt hatte wie Miranda. Sie hat all diese Entscheidungen getroffen, weil sie weiterkommen wollte, weil ihre Karriere ihr wichtig war, weil sie es allen beweisen wollte. Und dann zu behaupten, dass sie keine andere Wahl hatte, halte ich für charakterschwach. Und genau aus diesem Grund sehe ich sie nicht als Vorbild an.

Andy Sachs: That's not what I... no, that was different. I didn't have a choice.
Miranda Priestly: No, no, you chose. You chose to get ahead. You want this life. Those choices are necessary.
Andy Sachs: But what if this isn't what I want? I mean what if I don't wanna live the way you live?
Miranda Priestly: Oh, don't be ridiculous. Andrea. Everybody wants this. Everybody wants to be us. 


Wenn man in Any Sachs ein Vorbild sehen will, dann kann man das natürlich in manchen Bereichen trotzdem. Sie hat einiges geschafft bei Runway. Von einer unbedarften Journalismus-Absolventin, die keine Ahnung von Mode hat, wurde sie zu einer Assistentin, die Mirandas Wünsche irgendwann kannte, bevor diese selbst davon wusste. Organisationstalent, Zeitmanagement und sogar ein wirklich fundiertes Wissen in all den Bereichen für die Runway steht. Wie sie es am Anfang bei ihrem Vorstellungsgespräch betont hat: Sie kann hart arbeiten, sie lernt schnell. Das stimmt auch. Und das will ich ihr nicht aberkennen. Aber wie sie mit all dem umgeht, was auf sie zukommt, ist einfach nicht die richtige Methode. Sich hinter den Entscheidungen zu verstecken, die angeblich andere für sie getroffen haben, nur, damit sie gut dasteht und keiner auf die Idee kommen könnte, dass ihr eine Karriere bei einem Modemagazin doch irgendwie wichtig sein könnte. Wie genau soll einen das im Leben weiterbringen? Und als sie dann an dem Punkt angelangt ist, an dem Miranda ihr bestätigt, dass sie auf dem richtigen Weg ist, beschließt sie, dass sie genug hat. Weil sie nicht „so gemein“ sein will, obwohl sie es längst war. Und weil ihr vor Augen geführt worden ist, dass sie nicht das Opfer ist, sondern der Täter. Sie hat sich dazu entschieden, Emily den Rang abzulaufen. Vielleicht war sie einfach besser als Emily. Darüber denkt sie keine Sekunde nach. Und doch stimmt es, wenn man genau darüber nachdenkt. Denn während Emily wochenlang die Namen auf der Gästeliste des Charityevents studiert, damit sie jeden Teilnehmer kennt, hat Andy nur ein paar Stunden Zeit und rettet am Ende die Situation, weil sie einen Mann erkennt, dessen Name sonst keiner weiß. Andy ist gut, aber sie stellt ihr Licht unter den Scheffel und versteckt sich hinter den ominösen Entscheidungen, sie sie nie hat treffen wollen. Und deshalb bin ich auch nach dem hundertsten Mal ihr gegenüber zwiegespalten. Ich mag sie als Charakter, keine Frage. Aber ich verstehe sie nicht. Und noch weniger verstehe ich, warum sie immer auf einen Thron gehoben wird und man dabei so wenig hinterfragt, wofür dieser Charakter eigentlich wirklich steht.

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